Steinadler & stille Autorität – Begegnung mit einem Berkutchi in Kirgisistan
Heute traf ich Dzeniesch.
Einen jungen Kirgisen mit ruhigem Blick, wettergegerbtem Gesicht und der Präsenz eines Menschen, der die Sprache der Berge spricht. Neben ihm auf dem Lederhandschuh: seine siebenjährige Steinadlerin. Ihr Blick: durchdringend, wachsam, königlich.
Ein uraltes Bündnis
Dzeniesch ist ein Berkutchi, ein traditioneller Adlerjäger aus dem Issyk-Kul-Gebiet. Die Kunst der Jagd mit Steinadlern reicht in Zentralasien bis ins 12. Jahrhundert zurück. Über Generationen hinweg wurde sie von Vater zu Sohn weitergegeben – nicht als Beruf, sondern als Berufung.
Doch heute sind es nicht mehr viele, die diese Kultur weitertragen. Deshalb ist es umso berührender, wenn man einem jungen Menschen begegnet, der sich bewusst für diesen Weg entschieden hat.

Beziehung statt Beherrschung
In Dzenieschs Beziehung zu seinem Adler liegt eine stille, fast ehrfürchtige Klarheit. Kein Spektakel. Keine Kommandos. Nur Körpersprache, feine Gesten, viel Geduld. Er spricht kaum. Doch zwischen ihm und dem Tier fließt eine tiefe Kommunikation – jenseits von Worten.
Die Adlerjagd ist keine Show für Touristen, sondern ein Dialog mit der Natur. Und mit sich selbst.
Ein Raubvogel mit Superkräften
Der Steinadler (Aquila chrysaetos) ist ein faszinierender Greifvogel. Er kann achtmal schärfer sehen als der Mensch, stürzt mit über 300 km/h auf seine Beute und seine Klauen üben eine Greifkraft von bis zu 750 psi aus – genug, um ein Murmeltier oder einen Hasen sofort zu töten.
Diese Tiere sind keine Haustiere, keine „Dressurtiere“. Sie sind Partner. Die Zusammenarbeit ist begrenzt – meist nur etwa zehn Jahre. Dann entlässt der Berkutchi seinen Adler zurück in die Freiheit
UNESCO-geschütztes Kulturerbe
Seit 2016 gehört die Adlerjagd in Kirgisistan zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO. Ein Symbol für das Wissen indigener Völker, für Respekt gegenüber Tieren und für ein Leben im Rhythmus der Natur.
Doch Tradition allein reicht nicht. Ohne junge Menschen wie Dzeniesch wäre dieses Wissen bald verschwunden.
Würde in der Stille
Was mich am meisten beeindruckt hat, war nicht der Adler. Es war Dzeniesch.
Diese stille Autorität. Die völlige Abwesenheit von Eitelkeit. Kein inszeniertes Heldentum, kein Pathos. Nur Präsenz.
Ich habe selten einen Menschen gesehen, der so sehr im Einklang mit seinem Tier wirkte – und mit sich selbst.

Was wir von den Berkutchi lernen können
Geduld. Vertrauen. Respekt. All das lebt in der Beziehung zwischen Mensch und Adler. Eine Haltung, die auch in der digitalen Welt wertvoll ist.
Vielleicht ist genau das die eigentliche Botschaft dieser alten Tradition: Nicht alles muss laut, schnell oder sichtbar sein, um Wirkung zu zeigen.
Manchmal reicht ein stiller Blick.
Fototipp für Reisende
Wenn du einem Berkutchi begegnest, sei respektvoll. Halte Abstand, warte ab, beobachte. Gute Porträts entstehen nicht durch Zoom oder Nähe, sondern durch echtes Interesse. Schwarz-weiß-Bilder fangen die Atmosphäre oft besser ein als Farbfotos – sie reduzieren auf das Wesentliche.